So wirst du ein guter Gesprächspartner

„Josmar konnte nicht diskutieren, er proklamierte und verdammte“ – Josmar ist ein junger Mann, der für die kommunistische Partei gegen die Nazis kämpft. Seine Welt teilt sich in Freund und Feind. Trotz der marxistischen Dialektik ist sie simple und so konstruiert, dass sie jede Handlung der Partei logisch erklärt und rechtfertigt. Jeder auch noch so leise Zweifel ist für Josmar ein Beleg dafür, dass der andere dem Feind dient. Josmar ist eine Hauptfigur in dem Buch von Manès Sperber: Wie eine Träne im Ozean. Sperber schrieb es von 1940-51.

Sein Freund Edi, den er in Wien trifft, bringt ihn mit verschiedenen Aktivisten zusammen. Was sie unterscheidet, ist weniger das Ziel ihrer Aktionen, oder die Abscheu vor den Nazis, oder die Ernsthaftigkeit ihres gefährlichen Engagements - was sie unterscheidet, ist deren Fähigkeit zu Zweifeln, Bedenken zu äußern, anderen Meinungen zu akzeptieren, gemeinsam zu argumentieren. Edi und seine Freunde können geduldig sein, zuhören, vertrauen auf die Kraft der Beispiele und Argumente. Edi bietet Josmar vielfältige Anregungen. Doch vergebens. Josmar bleibt in seiner geschlossenen Weltsicht gefangen und kann nur wahrnehmen, was seine dichotomische Weltsicht bestätigt.

Das jemand nur proklamieren und verdammen kann, erleben wir auch heute. Hatte Josmar noch eine ideologische Weltsicht, so hat der allgemeine Trend zur Trivialisierung selbst das offenbar hinweggefegt. Geblieben ist die die Reduktion der komplexen Welt auf ein dichotomisches Weltbild. Hier die Guten, dort die Bösen. Für Differenzierungen, dass Suchen nach Zwischentönen ist meist kein Platz. Narzisstische Selbstbestätigung, verstärkt durch die sogenannten sozialen Netzwerken und den Echoräumen, die sie selbst erschaffen, dient als Ausweg vor den Zumutungen einer komplexen und als bedrohlich erlebten Welt.

Sich Miteinander aus zu tauschen, zu diskutieren und über Themen zu streiten ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns und unser Wissen von der Welt weiterentwickeln. Die permanente Bestätigung unserer Ansicht gibt einem vielleicht ein Gefühl von Sicherheit, doch der Preis ist hoch: geistiger Stillstand mit all seinen verheerenden Folgen für Innovation, Entwicklung und soziales Miteinander. Wir verlernen nicht nur zu argumentieren, wir verlernen das Denken.

Karl Popper hat im Widerspruch den entscheidenden Weg für den Erkenntnisgewinn gesehen. Doch nicht nur dafür, sondern auch für das soziale, gesellschaftliche und politische Miteinander ist die Fähigkeit zum Dialog entscheidend. Für Hannah Arendt ist das dialogische Prinzip der wesentliche Faktor für das Denken. Als soziale Wesen sind wir alle Teil einer Gesellschaft, die sich in einem kontinuierlichen Dialog über sich und die Welt befindet. Die Qualität dieses Dialoges bestimmt unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn Dialog so zentral ist, was sind dann die wesentlichen Faktoren dialogischer Kompetenz? Was kann jeder selbst dazu beitragen, um ein guter Gesprächspartner zu werden? Tatsächlich ist es einfacher als gedacht. Es erfordert ein wenig Mut, neue Wege zu gehen, aber es ist eine Kompetenz, die wir genauso lernen können, wie wir andere Kompetenzen erworben haben. Wir haben drei Faktoren identifizier: Wenn man nicht nur proklamieren und verdammen will, wenn man diskutieren will, wenn man lernen will, wenn man an echten Begegnungen mit seinen Mitmenschen interessiert ist, dann könnte man folgendes ausprobieren:

Sich interessieren

Sich zu interessieren ist ein einfacher Weg, um Neues kennen zu lernen. Voraussetzung ist dabei, dass wir wirklich Neues kennen lernen wollen und nicht nur bereits bestehendes Wissen und unsere bisher gemachten Erfahrungen bestätigt wissen wollen. Viele von uns haben eine Tendenz, auf Neues damit zu reagieren, dass man davon vor allem das wahrnimmt, was man bereits kennt. Es ist kognitiv weniger anstrengend für uns, Wissen und Erfahrungen bestätigt zu bekommen. Wer Neues kennen lernen will, darf sich also ein wenig mehr anstrengen. Neues darf irritieren, es fordert uns heraus. Da jedes Wissen immer mit bereits Bekannten anfängt, versuchen wir das Neue in unser bisheriges Denken zu integrieren. Gehen wir zu schnell vor, dann übersehen wir vielleicht das Neue und sehen nur, dass was wir schon wissen.  Sich interessieren bedeutet, so zu handeln, dass wir das, was uns gegenübertritt, aus verschiedenen Perspektiven anschauen, in unterschiedlichen Kontexten erleben und unsere Gedanken und Eindrücke mit anderen teilen und uns austauschen. Sich interessieren bedeutet, seine Fähigkeiten auszubilden, Eindrücke sprachlich ausdrücken und beschreiben zu können. Sich interessieren bedeutet auch, dass wir zunächst einmal auf der Ebene des Wahrnehmen und Erlebens bleiben und die Sache nicht durch eine Entscheidung abschließen müssen. Neugierde ist meist mit dem Gefühl der Freude verbunden, wir gleichen einem Entdecker, einer Forscherin, die sich auf der Suche nach spannenden neuen Entdeckungen befinden. Sich interessieren bedeutet, dass wir kein Script haben, dem wir folgen, sondern den Eindrücken und Themen folgen, wie sie im Austausch miteinander auftauchen.

Zuhören

Zuhören als durch Handlung gelebte und geübte Tugend ist weit mehr als „akustisch Wörter zu sammeln“, wie Anke betont. Zuhören zeigt sich darin, dass eine Person, das was sie von einer anderen Person hört und wahrnimmt, reflektiert und den anderen an dieser Reflektion teilnehmen lässt. Von außen würde man das dadurch erkennen, dass die zuhörende Person den Gesprächspartner ansieht, konzentriert wirkt und sich immer wieder vergewissert, ob sie den anderen richtig verstanden hat. Es geht ihr beim Zuhören darum, den anderen und das, was diese Person sagt, zu verstehen. Das Verstehen nicht bedeutet, mit dem, was die andere Person sagt, einverstanden zu sein, ist vielleicht eine banale Erkenntnis, hier jedoch zentral. Verstehen selbst ist ein alles andere als banaler Prozess. Doch wenn wir uns für die andere Person interessieren, ihr zuhören, dann werden wir auch Neues erkennen, lernen und verstehen können. Unsere Welt wird bunter, reicher und vielfältiger. Es stehen uns mehr und vor allem bessere Einsichten und Perspektiven zur Verfügung, um beispielsweise Probleme zu lösen und gute Entscheidungen zu treffen. Und vor allem, wir erleben uns als Teil einer sozialen Gemeinschaft, die miteinander darum ringt, die Welt zu verstehen und das Richtige zu tun.

Kritisch sein

Verstehen bedeutet nicht einfach, anderes zu akzeptieren. Daher gesellt sich zur Neugierde und zum Zuhören als dritter wichtiger Faktor die Kritik hinzu. Kritisch sein, bedeutet nicht, alles in Frage zu stellen, weil man dann beispielsweise hofft, klüger rüberzukommen oder selbst kritischen Fragen aus dem Weg gehen zu können. Kritisch sein, bedeutet zu prüfen,  nicht zu bemängeln oder zu beanstanden. Zu prüfen bedeutet, zu reflektieren, sich Fragen zu stellen: Was bedeutet dieses Argument, welche Auswirkungen hätte es in welchen Zusammenhängen? Kritisch sein bedeutet Fragen zu stellen. Welche Relevanz hat ein Aspekt in unterschiedlichen Kontexten oder was bedeutet das was ausgeführt wird für unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Situationen und Lebensumständen? Was spricht dafür, was dagegen? Wird es uns dabei unterstützen, gute Entscheidungen zu treffen und führt es zu ethisch vertretbaren Handlungen?

Das wären schon mal drei Faktoren, die jeder von uns einfach praktizieren und üben kann. Ein weiteres Elemente können wir noch aufführen, das uns dabei unterstützen kann, damit wir ein guter Gesprächspartner sein können.

Freundlich sein

Gespräche zu führen, sich miteinander auseinander zu setzen wird dann für alle leichter, wenn wir freundlich und zugewandt miteinander sprechen. Andere werden Dich als guten Gesprächspartner erleben, wenn Du also nicht zynisch, patzig oder laut und verletzend wirst. Freundlich und zugewandt zu bleiben, ist nicht immer einfach – gerade, wenn der Gesprächspartner Dinge sagt, die man selbst ablehnt oder sogar verabscheut. Welche Not treibt den anderen, dies zu sagen, andere Menschen herabzusetzen, sie als Gruppe zu diskriminieren oder selbst sich zu diskriminieren? Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, zunächst einmal zu versuchen, den anderen zu verstehen. Dass man selbst eine andere, vielleicht sogar diametral entgegengesetzte Meinung, Ansicht oder Werte hat, ist zunächst nicht so wichtig. Die eigenen Ansichten und Werte sind ja nicht weniger real, nur weil ein anderer sie abzulehnen scheint. Aufbauend auf einem besseren Verständnis der abweichenden Ansichten können wir dann, so der andere sich dafür interessiert, unsere Argumente vorbringen.

Einfach machen

Nach Aristoteles sind es unsere Handlungen, die uns tugendhaft machen. Wer ein weltoffener Mensch sein will, der neugierig auf andere zugeht, der sich für abweichende Meinungen und Widersprüche interessiert, wird es dadurch, dass er kommunikativ entsprechend handelt. Eine solche Person wird offene Fragen stellen, paraphrasieren, was sie verstanden hat, wird ihre eigene Ansichten darlegen, pointiert argumentieren, wird von Prinzipien als auch von eigenen Erfahrungen sprechen und diese im Lichte der Mitdiskutierenden gemeinsam beleuchten.

Ein guter Gesprächspartner erfreut sich an unterschiedlichen Perspektiven und vermag es auszuhalten, dass nicht jede Frage gleich entschieden werden kann oder muss. Eine solche Person wird man, indem man aktiv mit anderen, und nicht nur mit den immer gleichen Kolleg:innen und Freunden, das Gespräch sucht und führt. Es geht nicht darum, Andere von der Richtigkeit der eigenen Ansichten zu überzeugen, sondern darum, dass man das Gespräch mit dem Anderen als Chance begreift, die eigenen Ansichten zu überprüfen und dann seine Schlüsse zu ziehen. Ein solches Gespräch ist oft für den Gesprächspartner eine Überraschung. Es kann zu Irritationen und zu Abwehr führen – viele Menschen sind misstrauisch, wenn man sich für sie interessiert. Daher braucht es den Aufbau von Vertrauen für ein anderes Miteinander. Und dies erfordert wieder Interesse und Neugierde am anderen.

Man könnte jetzt einwenden, dass in unserer heutigen Zeit, viele eben gar kein Interesse am diskursiven Austausch haben und sich darauf nicht einlassen werden. Dass mag stimmen. Hier ging es jedoch darum, sich selbst zu einem guten Gesprächspartner zu machen und was es dazu braucht. Unsere Erfahrung ist, dass andere Menschen oft überrascht reagieren und sich dann doch auf ein Gespräch einlassen, wenn wir selbst uns ihnen mit Neugierde und Freundlichkeit nähern. Sich selbst darin zu üben, ein guter Gesprächspartner zu sein, ist auf jeden Fall etwas, das einen Wert in sich selbst hat. Es belohnt uns mit neuen Erkenntnissen, der Chance auf Weiterentwicklung, sozialen Kontakten und einem lebendigen Austausch mit der Welt.

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Neue Mediator:innen